Das zentrale Problem, das alle Sicherheitsbehörden trifft, wird nun offensichtlich. Es gibt seit Jahren keine sicherheitspolitische Weiterentwicklung in Deutschland. Seit Mitte der 90er Jahre fehlt der politischen Führung die Fähigkeit. Insbesondere im Politikfeld der inneren Sicherheit, braucht es eine Strategie. Taktik – und zwar parteipolitische Absicht – gibt es genug. Verlangt wird einiges von der Politik: Sie muss rasch auf Veränderungen der äußeren Umstände reagieren und gleichzeitig langfristig angelegt sein. Die jahrelange Politik der Stagnation und die Ignoranz gegenüber der Lage der Polizei ist für die gegenwärtige Situation verantwortlich.
Stattdessen wird Aufgabenüberdehnung bei gleichzeitiger Personal- und Geldverknappung geboten. Ausgebliebene sicherheits- und berufspolitische Ziele wurden durch Haushaltsziele ersetzt. Es ist der Sieg des Geldes. Nur wenn die Bundesregierung sich wieder inhaltlich mit diesen Problemen beschäftigt und wirkliche Problemlösungen herbeiführt, wird sie ihrer politischen Verantwortung für die Innere Sicherheit in unserem Land gerecht. Gerade die Bundessicherheitsbehörden brauchen eine klare und transparente Führung durch den Bundesminister des Innern. Eine solche Führung ist seit Jahren nicht mehr wahrnehmbar. Während in den 70er-Jahren noch von einem „Programm der Inneren Sicherheit“ gesprochen werden konnte, blieb die Innenpolitik nach der Einheit Deutschlands reaktiv. Wo es an Programmatik mangelt, bestimmt die Kassenlage. Probleme wurden nur verwaltet nicht gelöst. Es fehlt der Polizei in Deutschland insgesamt an einer strategischen Ausrichtung. Jede Form von kurzatmigem Aktionismus hingegen verunsichert die Bürger, verschreckt die Wirtschaft und belastet die Beschäftigten. Er lässt sie mit der Bewältigung der Aufgaben allein.
Das Fehlen einer Folgeabschätzung der Politik für die Innere Sicherheit zeigt sich nun an den Vorschlägen, die als Reaktion auf die Terroranschläge von Paris vorgelegt wurden.
Zur Herstellung der (durchaus begrüßenswerten) Freizügigkeit in Europa wurden die Kontrollen reduziert, Personal abgebaut und Teile der bisherigen grenzpolizeilichen Infrastruktur aufgegeben. Kontrolldruck an den Grenzen erfordert Personal, das nicht mehr da ist. Selbst bei vorhandenem Personal gibt keinen notwendigen Unterbau als Voraussetzung für die Versorgung und die Nutzung für Kontrollen. Fahndungsdruck in den Grenzräumen oder in der Fläche kann nur mit einer intakten Fahrzeugausstattung erzeugt werden. Die Bundesspolizei als Fahndungspolizei hat nur 0,31 % Anteil des gesamten Sachhaushaltes in der Bundesregierung. Mit diesem Mittelansatz soll die Bundespolizei im Grenzraum, an Flughäfen und Bahnhöfen aktiv sein und als Bereitschaftspolizei die Einsatzreserve des Bundes stellen. An diesem Mittelansatz zeigt sich wie Ernst die Herausforderungen der Inneren Sicherheit tatsächlich genommen wurden. Die Menschen in der Bundespolizei leiden seit Jahren an einer Unterfinanzierung bei Mieten, IT-Ausstattung und Fahrzeugen.
Unsere Dienststellen an den Grenzen sind permanent unterbesetzt und dem Zustrom illegaler Einwanderer kaum noch gewachsen. Schleusung ist ein skrupelloses organisiertes Verbrechen, das die Not von Menschen hemmungslos ausnutzt. Elend erleichtert Menschhändlern ihr Geschäft. Dass es immer wieder gelingt, hier Erfolge zu erzielen, ist ein Beweis für die Einsatzbereitschaft unserer Kolleginnen und Kollegen. Aber diese hat ihre natürlichen Grenzen.
Wir brauchen ein Umdenken. Wir brauchen politische Führung.
Wir sehen erste ernste Anzeichen für gesellschaftliche Verwerfungen, die mit der Entwicklung Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts durchaus vergleichbar sind.
Lösungsansätze können sein:
Es bedarf eines wesentlich besser abgestimmten Einwanderungs- und Sicherheitskonzepts auf europäischer Ebene. Die Herausforderung der Bewältigung von Zuwanderung ist ganzheitlich. Die deutsche Verwaltungslandschaft von Schulen, Jugendämtern, Gesundheitsämter und auch die Polizei wurde unter dem Stichwort “Bürokratieabbau” in den letzten Jahren dramatisch reduziert. Eine Neuausrichtung erfordert auch hier eine neue Denkweise. Eine notwendige, wesentlich bessere, aktivere, umfassendere und ehrlichere Integrationspolitik zur gesellschaftlichen Bewältigung der notwendigen Zuwanderung nach Deutschland muss sich mit einer besseren polizeilichen Strategie zur Bekämpfung illegaler und mit kriminellen Methoden betriebener Zuwanderung paaren.
Sicherheitsaufgaben dürfen von der Politik nur in dem Maße übertragen werden, wie sie von den entsprechenden Behörden auch tatsächlich verantwortungsvoll geleistet werden können. Tatmöglichkeiten zu unterbinden, erfordert polizeiliche Präsenz. Und die ist nur mit Personal möglich. Jedes Gesetz oder seine Verschärfung erfordert für seine Wirksamkeit Personal. Der Einsatzerfolg hängt vielfach von den zur Verfügung stehenden Arbeitsmitteln ab.
Die Bundesfinanzpolizei soll mit ihren sonderpolizeilichen Aufgaben konsequent in die Sicherheitsarchitektur eingebunden und endlich Teil des Systems der Inneren Sicherheit werden. Zu den Polizeiaufgaben des Zoll gehören auch die Bekämpfung, Verhütung und Verfolgung von grenzüberschreitenden Handlungen zur Finanzierung von Terrorismus.
Die Luftsicherheit gehört in eine Hand. In die der Bundespolizei. Die Defizite hier gefährden die Reisenden.
Die Stellenkürzungen in der Bundesverwaltung in den letzten Jahren führten dazu, dass Polizisten Verwaltungsaufgaben erfüllen. Eine sachgerechte Personalstruktur der Verwaltungsbeamten und Personalausstattung zur Unterstützung der Polizeiarbeit. Die Defizite hier werden zum Organisationsversagen führen.
Es heißt jetzt politische Führung übernehmen. Rückkehr zu einer Politik für die Innere Sicherheit.
Jörg Radek